7. Januar 2018

„Was ist eine Vagina?” so lautete eine Zwischenüberschrift in der Rede von Dr. Ingeborg Kraus am 3. Dezember 2017 auf einer Veranstaltung in der Urania: “Sexarbeit – der zerschmetterte Mythos”. Der Titel der Rede : “Darf die Vagina Arbeitswerkzeug sein?”

„(…)Kann man die Vagina zu einem Staubsaugerrohr reduzieren? Anatomisch und psychologisch ist es nicht möglich. Die Vagina, und damit meine ich die weiblichen Sexualorgane, sind nicht trennbar vom Frauenkörper. Ganz im Gegenteil, es ist ein hochsensibles Organ, das mit unserem Gehirn und unserem ganzen Körper verbunden ist. Es ist das intimste, was eine Frau besitzt.“
Ich werde ja, zugegeben, misstrauisch, wenn mir jemand die Welt – oder in dem Fall meinen Körper erklärt. Vor allem, wenn es Prostitutionsgegner*innen sind.

Der Hinweis wie sensibel unsere Mösen sind, von Seiten derer, die uns Sexarbeiter*innen so erbittert abschaffen wollen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. So ist es doch gerade Alice Schwarzer, die im „kleinen Unterschied“ behauptet: “ (…) die Vagina hat so viele Nerven wie der Dickdarm – nämlich fast keine. Ihr Hauptteil kann ohne Betäubung operiert werden. (…) In der Vagina spielt sich nichts ab”.

Ich lasse mir von niemandem meinen Körper erklären, der oder die mich bevormunden will.

(Damals ging es um die Entmystifizierung des vaginalen Orgasmus versus des klitoralen Orgasmus. Das durch die Psychoanalyse herrschende Paradigma, dass nur eine Frau, die einen “vaginalen” Organsmus erleben könne, eine gereifte Frau sei, galt es aus feministischer Perspektive zu widerlegen. Für die Klärung ideologischer Fragen musste als Beleg wieder einmal eine biologistische Beweisführung her. Anm d. Verf.).
Jetzt auf einmal ist die Vagina wieder das hochsensible Organ (Stimmt.) – und wird im gleichen Atemzug zum intimsten erklärt, was ich habe. (Stimmt so nicht.)

Ich besitze eine Menge hochsensible Organe. Meine Ohrläppchen, Meine Zunge, mein Geruchsinn, meine Fusssohlen, meine Wangen, mein weicher Bauch; mein unfassbar großes Herz und, nicht zu vergessen, mein überaus reizbares Gehirn. Ich vermöchte nicht zu sagen, welches das Intimste meines Körpers ist oder wo meine Wesenhaftigkeit – oder auch meine Geschlechtlichkeit – beheimatet ist.
Wo ich meine Identität verorte – das bleibt doch hoffentlich mir überlassen?

Folgendes lässt sich jedoch nicht leugnen. Es ist wahr, viele Vaginas fristen ein unentdecktes und fühlloses Dasein. Das allerdings, und das sei an dieser Stelle laut und deutlich gesagt, nicht nur in Bordellen. „Staubsaugerrohre“ gibt es in deutschen Ehen und TinderDates, in Swingerclubs, Schlafzimmern und Schnellficks auf Toiletten. Ebenso wie fühllose Schwänze. Und die Menschen, die dranhängen.

“Nicht nur Huren haben eine “Hornhaut”. Unsere gesellschaftliche sexuelle Norm, die wir unhinterfragt als “Sex” akzeptieren, erzwingt fast, dass das sexuelle Potential der Vagina sich nicht vollständig entfalten kann” schreibt Ilan Stephani in Ihrem Buch “Lieb und teuer” (Ich empfehle an dieser Stelle wärmstens die Lektüre dieses Buches der mutigen Autorin, die dem Thema, wie ihre Vagina auf ihre Arbeit als Prostituierte reagiert hat und welchen Weg sie dadurch gegangen ist, ein ganzes Kapitel widmet. Ganz grossartig. Kapitel 10, S. 101 ff. Bravo, Ilan <3 !!)

Wiederaneignen von Spürräumen ist Arbeit. Das ist, wie ich finde unabhängig davon, unter welchen Vorzeichen unser Sex stattfindet. Bezahlt, unbezahlt, romantisch, monogam oder promisk. Voller Liebe, sportlich, hungrig oder Slow.

Ich lasse mir von niemandem meinen Körper erklären, der oder die mich bevormunden will.

Wo ich meine Selbstbestimmung, meine Würde und auch meine Lust lokalisiere, wie ich sie praktiziere, wie ich sie lerne, vaginal, klitoral, vulvominös und meinetwegen dreckig wie ein Staubsaugerrohr (die Fantasien der Abolotionist*innen sind bemerkenswert!) das ist meine Entscheidung. Und ich wünsche mir mehr Unterstützung, für Menschen aller Geschlechter um die Freiheit zu haben, wirkliche sexuelle Selbstbestimmung zu lernen. Das ist Arbeit und sie wird schweißtreibend sein, hoffentlich Lustschweiß, denn sie ist auch der Kampf gegen ein patriarchales Erbe.

Verbote, Zensur und Jagd auf Huren sind sicherlich nicht Teil davon. Offene Sprech-, Praktizier- und Berührungsräume schon. Wir brauchen sexuelle Schutz- und Heilräume, und Experimentierräume, und Wissens- und Forschungsräume, und einfach Räume, wir wir den Sex haben können, den wir gut finden.
Mein Körper erklärt mir die Welt. Das ist sein – ihr- und mein gutes Recht.
My body- my business!

Hier noch ein paar weiterführende Informationen:
Zur Begriffsklärung:Anatomisch betrachtet besteht das weibliche Geschlechtsorgan aus drei Teilen:

  • der äußere, sichtbare Teil, die Vulva
  • der Körperöffnung, die den äußeren und den inneren Teil miteinander verbindet: die Vagina
  • dem inneren, nicht sichtbaren Teil: dem Muttermund, der Gebärmutter und den Eierstöcken.

(aus „Vulva“ von Mithu Melanie Sanyal)

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Der Link zur Rede, aus der zitiert wurde

Alice Schwarzer: “Der kleine Unterschied und seine großen Folgen” FFm 2002

Empfohlen:
Ilans Buch:“Lieb und teuer”, Ecowin Verlag 2017. Ilan Stephan in Kooperation mit Theresa Bäuerlein Checkt auch bitte Ilans Blog!

Mithu Melanie Sanyal hat gleich zwei Bücher geschrieben, die mit dem Thema zu tun haben. „Vulva“ (Wagenbach Verlag) erzählt die Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechts, eine Geschichte der Aberkennung und Aneignung (wie wir sehen, eine Geschichte, die nicht beendet ist). Wer nachlesen will, was der Unterschied zwischen Vulva und Vagina ist, hier bist du richtig.
Vergewaltigung“ (Editon Nautilus 2016) zeigt Mithu auf, wie unser Umgang und die Narrative Vergewaltigung die gesellschaftliche Haltung zu Sexualität, Geschlecht und Verletzbarkeit spiegeln.

Ebenfalls empfohlen:
Yella Cremer: Autorin des “G-Punkt -Handbuches” und auch der Online Kurs über Slow Sex gemeinsam mit Samuel Cremer

Außerdem das Institut für Sexological Bodywork, in Berlin um Mareen Scholl und Christopher Gottwald

Frauen (und Männer!) intim massieren und Spür-räume schaffen: für besonders gute Lehrerinnen halte ich Michaela Riedl und Gitta Arntzen sowie Nangha Ch. Grunow.

Besonders gute Tantra Massagen zB in Köln bei Ananda und der Website “Trusted Bodywork” (Martina Weiser) und vielen anderen Kolleg*innen – Britta Kunze, Iva Samin, Deva Bhusha, Hanna Krohn oder auch mir Kristina Marlen. (contact me for more info)

Dass auch Männer hochsensible Organe haben, insbesondere zwischen den Ohren, hat sich inzwischen auch herumgesprochen. Ich empfehle hier die Arbeit von Men-Tantra und Ingo Ehrhardt, Kai Ehrhardt und das Village Berlin, die Arbeit von Saleem Matthias Riek.

Es gibt noch eine schier endlose Linkliste für „zum Weiterlesen…“ . Schau Dich auf meiner Webite um oder kontaktiere mich für mehr Information.

Und natürlich, wenn du was zur Hurenbewegung wissen willst und uns unterstützen möchtest: der BesD – Berufsverband erotische und sexuelle… Dienstleistungen

Hydra e.V. (Beratungsstelle für Prostituierte in Berlin)

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