30. Januar 2020

„Die Angst vor dem gefährlichen Sex, das ist nur die Angst, den sexuellen Raum nicht gestalten zu können. Sexarbeiter*innen gestalten aber. (…) Wir haben keine Angst vor dem sexuellen Raum. Wir betreten ihn, wir kennen uns darin aus. Es ist eure Angst.“

Die selbstbestimmte Hure ist noch immer undenkbar

Yvonne, 34, meldet sich bei mir, weil sie endlich Sicherheit darüber haben will, ob sie auf Frauen steht. Außerdem will sie ihre devote Seite entdecken. Sie wünscht sich, gefesselt zu werden, aber sie fragt auch, ob wir uns auch küssen können und ob sie mich oral befriedigen darf.  Ich fessele sie, und sie stellt schnell fest, dass sie es zu fest nicht mag. Wohl aber, wenn ich ihr auf den Po schlage und ihr dabei zurufe, was für ein prachtvolles Hinterteil sie hat. Wir haben eine intensive Zeit. Es reicht ihr, um festzustellen: Ich habe eine weitere Variante meiner Sexualität gefunden – aber meinen Freund liebe ich immer noch. Und: Ich mag Dirty Talk, das bringe ich jetzt mal ins heimische Schafzimmer.

Stefan, 36, ist ein absolute beginner – er hatte noch nie Sex. Er führt ansonsten ein normales Leben. Aber jegliches Spiel um erotische Kontakte war ihm schon als Jugendlicher ein Rätsel. In ein Bordell zu gehen, traut er sich nicht. Er wüsste nicht, was er mit der Frau machen soll. Stefan darf mich berühren, ich gebe ihm Feedback. Manchmal mit Atmung, Stimme und Bewegung, und er sieht und spürt, wie ich in den Genuss oder in die Erregung gehe. Er lässt langsam zu, dass ihn das auch erregt. Stefan sagt, er würde demnächst auch gern Geschlechtsverkehr ausprobieren. Er traut es sich jetzt zu.

Jens, 47, Consultant, hat einen Wollsockenfetisch. Er liebt Geruch und Textur, er liebt das Gefühl auf der Haut, und er liebt den Anblick. Am liebsten an den Füßen einer großen Frau, die ihn damit zärtlich tritt. Jens hat Familie und eine Ehefrau, die er sehr liebt. Aber das mit den Wollsocken sei nicht ihr Ding.  Wenn ich ihn mit Wollsocken fessle, ihn damit kneble, jauchzt er. Wir lachen viel, er hat mehrere Orgasmen und ist froh, dass er bei mir so sein kann, „ohne sich völlig schräg zu fühlen“.

Soraya möchte einmal nicht dominant sein

Soraya, 38, möchte einfach loslassen. Als Chefärztin liegt viel Verantwortung auf ihr. In ihrer Beziehung ist sie auch eher der dominante Part. Ich fessle Soraya in immer wieder neuen Positionen und verbinde ihr die Augen, bis sie nichts kann, außer sich auf ihren Körper zu konzentrieren. Sie ist allein mit sich und ihrer Atmung und fällt in einen Raum des Friedens. Das eine Mal hat sie dort einen Orgasmus, das andere Mal verweilt sie dort nur in tiefer Stille, denn manchmal halte ich ihr zusätzlich die Ohren zu.

All dies sind Begebenheiten aus meinem Alltag als Sexarbeiterin. Ich könnte die Liste lange fortführen. Sie wäre manchmal pornografischer, manchmal emotional berührend. Sexarbeit, das ist die selbstgewählte Bezeichnung für das, was im Gesetz „Prostitution“ heißt. Unter Prostitution fallen alle Menschen, die gegen Entgelt oder geldwerten Vorteil sexuelle Handlungen anbieten.

Wenn von Prostitution die Rede ist, denken viele an eine hilflose Frau, die gezwungen ist, sexuelle Handlungen gegen ihren Willen auszuführen: (Weibliche) Prostituierte sind bemitleidenswert, und (männliche) Freier sind zu verachten. Weil diese Logik von Prostitutionsgegner*innen ständig wiederholt wird, regen Politiker*innen immer wieder ein „Sexkaufverbot“ nach dem sogenannten Schwedischen oder auch Nordischen Modell an: Der Kauf sexueller Dienstleistungen würde damit verboten, Sexarbeiter*innen sollen von der Bildfläche verschwinden, und das vermeintlich zu ihrem Schutz: Laut Befürworter*innen eines Sexkaufverbots bleiben Prostituierte dabei „straffrei“.

Tatsächlich würden Sexarbeiter*innen durch die Einführung des Schwedischen Modells jedoch arbeitslos und stigmatisiert. Unterstützung für sie – das gilt für Bordellbetriebe genauso wie für Arbeitsgemeinschaften – könnte unter Strafe gestellt werden. Es wäre auch riskant, an Sexarbeiter*innen Wohnraum zu vermieten: Falls sie dort arbeiten, können die Vermieter*innen belangt werden. Lebenspartner*innen oder erwachsene Kinder im gemeinsamen Haushalt könnten wegen Zuhälterei angeklagt werden. Sexarbeiter*innen kann das Sorgerecht für ihre minderjährigen Kinder entzogen werden.

In Schweden sind Prostituierte seit mittlerweile 22 Jahren gezwungen, illegal, erpressbar und an unsicheren Orten zu arbeiten. Sie sind von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und engagierte, selbstverwaltete Vertretungen wie „fuckforbundet“ werden nicht unterstützt – ihre Arbeit wird sogar erschwert. Ihnen wurde zum Beispiel untersagt, ein Konto zu eröffnen, um internationale Fördergelder zu empfangen. Auch in Deutschland haben Selbstorganisationen wie der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen Probleme sich zu finanzieren, weil es keine staatliche Unterstützung gibt.

Huren zu beschuldigen, ist natürlich viel einfacher

Sexarbeiter*innen, die sich nicht entsprechend des Opfernarrativs verhalten, werden in Deutschland angefeindet und für unglaubwürdig erklärt: Sie trügen Schuld am Elend der Zwangsprostitution. Welch perfide Logik – als wäre nicht ein sozial- und migrationspolitisches Versagen schuld an Armut und Ungleichheit in Europa und der Welt. Huren zu beschuldigen, ist natürlich viel einfacher.

SPD-Politiker*innen, die sich nun für ein Sexkaufverbot aussprechen, sollten sich vor Augen halten, wem sie dabei politisch Vorschub leisten: Denn dieses Verbot untersagt auch Arbeitsmigration zum Zwecke der Prostitution. Es trifft also vor allem den großen Anteil nicht deutscher Sexarbeiter*innen. Im Kern ist das Gesetz migrationsfeindlich.

Die Gesellschaft kann sich die selbstbestimmte Hure bis heute nicht denken. In diesem Ressentiment versteckt sich, neben dem Bild der Frau als Opfer, eine tiefe Sexualfeindlichkeit. Vielen scheint es unvorstellbar, dass Sexarbeiter*innen eine erotische oder sexuelle Situation herstellen können, bei der sich nicht nur unsere Klient*innen, sondern auch wir selbst wohlfühlen. Das Schlüsselwort: Einvernehmlichkeit. So gesehen unterscheidet sich privater Sex nicht wesentlich von bezahltem.

Wie? Ja, richtig gelesen. Sex gegen Geld ist nicht wirklich aufregender, verruchter, schrecklicher, abgründiger oder schöner als – eben Sex. Diese Hypothese schmerzt das bürgerliche Selbstverständnis am meisten. Wir leben immer noch in einer Kultur des Tabus und der Zensur von Sexualität. Menschen besetzen das Thema mit Scham, Schuld und Angst. Angst auch, weil Intimität bedeutet, Grenzen zu öffnen und gleichzeitig zu wahren. Wer hat das schon wirklich gelernt? Es ist, als würden all diese Ängste auf käuflichen Sex projiziert.

Sexuelle Ängste sind Teil meiner Arbeit

Ich möchte diese Ängste nicht verurteilen. Es ist ja Teil meiner täglichen Arbeit, Menschen sensibel mit ihren sexuellen Ängsten zu begleiten. Problematisch ist es nur, wenn die eigene Angst zur Ideologie erstarrt – denn das ist der Ursprung eben jener sexualrepressiven Welle, die uns gerade zurückspült. Sex ist ein Tabu, und alle Menschen, die mit expliziten Inhalten arbeiten, spüren den konservativen Rollback.

Wenn ich von meiner Arbeit erzähle, sagen viele: „Das ist doch keine Prostitution. Da passiert ja kein richtiger Sex. Du bist eher wie eine Therapeutin. Außerdem kannst du dich ja ausdrücken.“ Also noch mal: „Richtiger“ Sex passiert also nur dann, wenn ein Penis in eine Vagina gleitet. Und wenn die betroffene Frau sich dabei nicht wehren und artikulieren kann?

Warum kann sich eine Gesellschaft nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die einvernehmlich sexuelle Handlungen gegen Geld tauschen und dabei psychisch und physisch unversehrt sind?  Warum muss es die Ausnahme sein, wenn eine Frau sexuellen Raum gestaltet und kein Opfer ist?

Sexuelle Kommunikation ist nicht einfach

Wenn es um private Sexualität geht, finden viele, dass Liebe bedingungslos sein und Sex sich „natürlich“ ergeben soll. Das Wort „Verhandlung“ finden wir dabei unpassend – dabei wäre es so hilfreich. Woher kommen unsere Bilder dieser „Natürlichkeit“ zwischen Mann und Frau? Aus der Bravo? Von YouTube? Aus der Kirche? Was insbesondere Menschen mit weiblicher Sozialisation unter den Vorzeichen von „Liebe“ und „Leidenschaft“ tun, ohne dabei auf ihre Grenzen zu achten oder auf das, was sie sich selbst wünschen, ist haarsträubend. Da ich mich auf die Arbeit mit Frauen spezialisiert habe, kann ich das einschätzen.
Ich persönlich halte die Lügen und Mythen, die per Fernsehfilm oder Hollywood-Kino in unser Unbewusstes gefräst werden, für gefährlicher als Pornografie. Fragen Sie mal bitte sich selbst und auch Ihre Freund*innen: Warum hast du das letzte Mal Sex gehabt? Aus Leidenschaft? Aus Pflichtgefühl? Nächste Frage: War’s gut?

Menschen, die keine Lust mehr auf Sex in ihrer Partnerschaft haben, haben nicht generell keine Lust mehr auf Sex. Sie haben aufgehört, zu experimentieren und aufeinander einzugehen – weil sexuelle Kommunikation nicht einfach ist. Eben deshalb wenden sich Menschen an uns Profis. Bei uns probieren sie Dinge aus, die sie sonst nicht wagen.

Sex ist magic. Sexualität kann therapeutisch wirken, eben weil sie mit Gefühlen, mit Körpergedächtnis, mit Trauma und Erlösung verknüpft ist, mit Autonomie und Hingabe, bis hin zur Fähigkeit, im Orgasmus loszulassen. Menschen dabei zu begleiten, in ihre sexuelle Kraft zu kommen: Das ist tiefenpsychologische Arbeit, das ist körperlich anstrengendes Handwerk, das ist Sozialarbeit, das erfordert Empathie und Kommunikation. Sexarbeiter*innen sind Multitalente! Wir stolpern nicht hilflos in unsere Jobs. Wir haben erprobt und entschieden, was wir bereit sind zu geben. Und für welchen Preis.

Sexualisierte Gewalt kann man nicht mit repressiver Politik bekämpfen

Es gibt Probleme mit sexualisierter Gewalt in der Sexarbeit, und es gibt Probleme mit sexualisierter Gewalt in Ehen, Familien, Partnerschaften, dem öffentlichen Raum. Die Ursachen dafür sind vielfältig, aber zugrunde liegt häufig eine tiefsitzende Misogynie. Wer glaubt, sexualisierter Gewalt mit einer repressiven Sexualpolitik entgegnen zu können, irrt. Die meisten Formen von restriktiver Sexualmoral haben patriarchalen Ursprung und bedrohen die Freiheit weiblicher Sexualität. Ein Sexkaufverbot ist in Wahrheit ein Angriff auf alle Frauen, die anders mit ihrer Sexualität umgehen, als es das bürgerliche Modell vorsieht. Ihr wollt uns nicht retten, ihr wollt ganz einfach, dass wir verschwinden. Aber wir fordern Rechte und Anerkennung.

Dabei spielt es keine Rolle, in welchem Segment wir arbeiten – die Arbeitsplätze in der Sexarbeit sind vielfältig. Wir haben unterschiedliche Fähigkeiten, persönliche Grenzen und Arbeitsweisen. Für manche ist es lebenslange Berufung, für manche eine pragmatische Entscheidung auf Zeit. Nicht für alle ist der Beruf geeignet. Wer aussteigen will, muss unterstützt werden – mittels kostenloser und freiwilliger Beratung, finanziellen und sozialen Maßnahmen. Manche sind in Zwangslagen oder werden zur Sexarbeit gezwungen – das ist bereits jetzt illegal und braucht keine zusätzlichen Gesetze.

Yvonne, Stefan, Jens und Soraya begegnen mir mit Respekt. Nach dem Schwedischen Modell wären sie Straftäter. Mit dem Gesetz wäre ich in meiner wirtschaftlichen und professionellen Existenz bedroht. Ich wäre auch körperlich gefährdet, denn zu mir kämen nicht mehr Yvonne, Stefan, Jens und Soraya, sondern Kunden, die bereit sind, eine Straftat zu begehen. Ich würde mich im rechtsfreien Raum bewegen. Ich könnte nicht für meine Arbeit werben, um meine Angebote und meine Grenzen in aller Klarheit zu kommunizieren. Ich müsste allein arbeiten, ohne Kontakt zu Kolleg*innen. Ich hätte auch keinen rechtlichen oder polizeilichen Schutz im Falle eines Übergriffs.

Nicht der Sex ist gefährlich, sondern das Stigma. Die Angst vor dem gefährlichen Sex, das ist nur die Angst, den sexuellen Raum nicht gestalten zu können. Sexarbeiter*innen gestalten aber. Sie haben Rückgrat und zeigen Gesicht, wenn es um sexuelle Verhandlungen geht. Wir haben keine Angst vor dem sexuellen Raum. Wir betreten ihn, wir kennen uns darin aus.  Es ist eure Angst.

Sprecht mit uns, nicht über uns.

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